| Herrn Müller-Steidners wahnwitziger Alltag
Weshalb ein thüringischer Kreisangestellter seit eineinhalb Jahren die Bundesrepublik Deutschland verteidigen muss
Von Bernhard Honnigfort (Nordhausen) Wenn Herr Müller-Steidner einmal so könnte, wie er wollte, nur ein einziges Mal, was dann? "Also, ich würde die alle", sagt er, "ich würde die auf der Stelle . . ." Dabei erhebt er sich kurz aus dem Schreibtischstuhl, einen Augenblick nur, dann sinkt er zurück. "Ach, lassen wir das."
Klaus Müller-Steidner, 52 Jahre alt, stellvertretender Bauordnungsamtsleiter des Landkreises Nordhausen in Thüringen, kann aber nicht so, wie er gern würde. Er muss sich an die Gesetze halten. Er sitzt in seinem Büro, Zimmer Nummer 464: türkisfarbener Teppichboden, ein hellgrauer Schrank, ein hellgraues Aktenregal, darauf fünf orangefarbene Bände des Bauordnungsrechts Thüringen, vor sich an der Wand ein Kalender, hinter sich ein Karte des Landkreises. Er selbst ist von eher zierlicher Statur, sehr freundlich und korrekt gekleidet: graue Strickjacke, ein hellblaues Hemd mit dunkelblauer Krawatte, silberne Krawattennadel, stabile Brille. Seit elf Jahren kümmert er sich um alle möglichen Baurechtssachen, das Übliche, manchmal Ärger mit Bauherren, Alltagskram. Doch seit anderthalb Jahren hat er den Ärger seines Lebens. "Ich grüble und grüble, was man gegen solche Leute machen kann", sagt er. "Aber mit so viel Schwachsinn hat der Gesetzgeber wohl nicht gerechnet."
Müller-Steidners Arbeitsleben veränderte sich schlagartig, als er am 4. April vergangenen Jahres im Dörfchen Sophienhof im Südharz entdeckte, wie jemand sein Schrebergartenhäuschen in einen großzügig bemessenen Bungalow umbaute. Er schrieb dem Mann, einem ehemaligen SED-Vizebürgermeister von Nordhausen, einen Brief und forderte, sofort mit dem Bau aufzuhören. Ein paar Tage später teilte ihm der Mann mit, er besitze eine rechtskräftige Baugenehmigung vom 23. März 2000, siehe Anlage. Jurist Müller-Steidner staunte: oben ein Wappenadler, daneben der Titel "Reichsland Freistaat Preußen, Kommissarischer Staatsminister für Handel und Gewerbe, Der Minister, provisorischer Amtssitz, Königsweg 1, Berlin-Zehlendorf 1". Darin hieß es, ein Staatsminister Wolfgang Gerhard Günter Ebel genehmigte den Umbau. Hochachtungsvoll, Unterschrift, Stempel.
Als sich Müller-Steidner in Sophienhof ein wenig umsah, entdeckte er eine noch größere Baustelle. Direkt nebenan war jemand mit dem Presslufthammer dabei, sein Gartenhäuschen zu unterkellern. Am Grundstückstor hing ein Schild: "Deutsches Reich. Amtswohnung des Staatsbeamten Andreas Traumann."
Das ist jetzt eineinhalb Jahre her. Inzwischen hat der blanke Irrsinn seinen Weg in die Akten des Landratsamts gefunden, und Klaus Müller-Steidner ist in eine heftige Briefschlacht mit dem Deutschen Reich verwickelt. Seitdem beschäftigt sich das Amt mit: vier Bauverfahren im ersten Fall, neun weiteren gegen Traumann. Es geht um Baustoppverfügung, Nutzungsuntersagung, Räumung und Abriss der unterkellerten Laube. Elf Mal hat Müller-Steidner die Baustelle versiegelt und Baustopp verhängt, elf Mal wurden die Siegel abgerissen. Etwa achtzig Mal ist der Kreisangestellte mit Kollegen oder Polizisten, Mitarbeitern von Schlüsseldiensten, in Begleitung von Abschleppwagen oder eines Tierarztes zum Einfangen eines Rottweilers zu Traumanns Laube gefahren. 18 Kilometer hin, 18 zurück. Er hat Baufahrzeuge beschlagnahmt, wurde beschimpft und angerempelt. Manchmal musste er tatenlos abziehen, weil die Übermacht zu groß war, manchmal trug er eine kugelsichere Weste. Aber erreicht hat er so gut wie nichts: Andreas Traumann erkennt die Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, die Volksvertreter, Behörden, Siegel, Flaggen und den Kreisangestellten Müller-Steidner nicht an.
Traumann, 40 Jahre alt, nach Erkenntnissen des Landratsamts ein ehemaliger Schlosser mit "mittlerer Intelligenz" und Gefängniserfahrung, ist in eine Pseudowelt abgedriftet. Er gehört zu den "Preußen", wie man im Nordhäuser Landratsamt sagt, einem Häuflein Spinner, geschätzte 120 bis 350 Mitglieder stark, die sich "kommissarische Regierung des Deutschen Reichs" nennen, eigene Ausweise, Führerscheine und Nummernschilder drucken, Baugenehmigungen erteilen und die Bundesrepublik für einen Phantomstaat halten. Laut Bundesamt für Verfassungschutz, das auch nicht recht weiß, was es von den Leuten halten soll, stellte das Berliner Institut für forensische Psychiatrie 1985 in einem Gutachten für das Landeskriminalamt beim Anführer, dem angeblichen Staatsminister Ebel, wohnhaft Berlin, 62 Jahre alt, früher Reichsbahner, eine besondere Form der Schizophrenie fest, die ihn schuldunfähig mache.
Als Müller-Steidner das alles herausgefunden hatte, war er einen Moment geneigt, die Angelegenheit ansatzweise kurios zu finden. Das änderte sich aber am 12. Mai 2000 gegen 12.30 Uhr, als zwei seriös angezogene Männer in seinem Büro auftauchten. Ein paar Tage zuvor hatte ihm ein "Generalbevollmächtigter für den verfassungsrechtlich besonderen Status von Berlin" einen Haftbefehl wegen Hochverrats mit Androhung der Todesstrafe geschickt. Unten vor dem Landratsamt wartete der Staatsbeamte Traumann mit laufendem Motor. Die Herren wollten Müller-Steidner verhaften. "Wir sind die Vollstreckungsorgane des Deutschen Reiches", drohten sie ihm. Das Überfallkommando verschwand schließlich selbst für einen Tag hinter Gittern, weil Müller-Steidner zwei echte Polizisten zu Hilfe gerufen hatte.
In Spitzenzeiten, erzählt der Jurist, hätten die "Preußen" neunzig Prozent seiner Arbeitszeit beansprucht. Er hat das ausgerechnet: Kilometergeld und Arbeitsstunden. "Bislang gut und gerne 100 000 Mark." Auf seine Verfügungen folgen Widersprüche, die er abweise, was dann vor Gericht ende. Seit anderthalb Jahren gehe das so: Briefe, Telefonate, Einsatzbesprechungen mit der Polizei, Anordnungen, dazu Beleidigungsklagen, hin und her. Etwa zwanzig "Preußen" gebe es im Kreis Nordhausen. Mittlerweile sei ein dritter Fall auf seinem Schreibtisch gelandet, noch ein Mann, der sich eine Bauerlaubnis in Berlin besorgt habe. Außerdem gebe es einen Unternehmer, der seinen richtigen Führerschein "versoffen" habe und nun mit einer "Reichsfahrerlaubnis" durch den Kreis kutschiere. "Wenn ich klein beigebe, schießen die wie Pilze aus dem Boden", sagt Müller-Steidner.
Vor einem Monat glaubte er, gewonnen zu haben: Mit einer Hundertschaft Polizei, Abschleppwagen, dem Tierarzt und einem Mann vom Schlüsseldienst rückte er morgens um acht Uhr an, ließ das mit Autos verbarrikadierte Grundstück räumen und den Staatsbeamten Traumann von zwei Polizisten aus der Datsche tragen. Wieder ließ der Jurist das einsturzgefährdete Häuschen sperren, er ließ die Möbel abtransportieren und wies Traumann, dessen Frau und Sohn eine Fünf-Zimmer-Wohnung im Nachbardorf zu. Doch der Staatsbeamte kehrte zurück und hockt seitdem im neuen Dienstsitz: einem Wohnwagen im Schrebergarten.
Andreas Traumann steht vor dem Tor zum Garten, es ist fast dunkel. Hinter dem Tor knurrt sein Rottweiler Tina. Auf dem Waldweg davor steht ein schrottreifer VW-Bus. "Hier ist großes Unrecht geschehen", sagt er. Unter seiner Achsel klemmt ein Herrentäschchen. Während er redet, fuchtelt er mit einem Kugelschreiber in der Luft herum. Das Recht werde mit Füßen getreten von der so genannten Bundesrepublik. Starr blickt er ins Dunkel und redet wie ein Roboter: vom so genannten Einheitsvertrag, von den Alliierten, davon, dass es die Bundesrepublik gar nicht gebe, sondern immer noch das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937. "Red nicht zu viel vom Reich", tuschelt ein Mann hinter ihm, der seinen Namen nicht verraten möchte. "Wir werden hier siegen. Wir sind nicht allein. Wir kriegen Geld aus dem Ausland." Der Mann hinter ihm, der sich später als ein Unternehmer aus dem Kyffhäuserkreis entpuppt, grinst: "Wir werden sie fertig machen. Richtig fertig machen." Er meint die Kreisverwaltung und den tapferen Herrn Müller-Steidner.
Spätestens im Frühjahr will der die Schwarzbauten abreißen lassen. "Das wird jetzt durchgezogen." Er ist entschlossen, die Bundesrepublik zu verteidigen und in der Sophienhofer Schrebergartenanlage bundesdeutsches Recht durchzusetzen. Er hat keine Lust mehr und findet das alles überhaupt nicht mehr witzig. Seiner Frau darf er mit dem Thema gar nicht mehr kommen.
Und wenn er könnte, wie er wollte, einen Tag nur? "Oh," sagt er, und seine Augen funkeln gefährlich: "Ich würde alle dem Amtsarzt vorführen und dann einweisen lassen. In die Klapsmühle." Aber das, fügt er hinzu, korrekt wie ein stellvertretender Bauordnungsamtsleiter eben ist, das sei natürlich seine private Meinung.
Frankfurter Rundschau 31.10.2001
http://www.ring-gegen-rechts-und-rassismus.de/Aktuell/10_2001/1_31.htm
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