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 Wie konntest du nur? 07.08.2003 (00:33 Uhr) amo
Wie konntest du nur?

Als ich noch ein Welpe war, unterhielt ich
Dich mit meinen Possen und brachte Dich
zum Lachen. Du nanntest mich Dein Kind,
und trotz einer Anzahl durchgekauter
Schuhe und so manchem abgeschlachteten
Sofakissen wurde ich Dein bester Freund.
Immer wenn ich "böse" war, erhobst Du
Deinen Finger und fragtest mich
"Wie konntest Du nur?" -
aber dann gabst Du nach
und drehtest mich auf den Rücken,
um mir den Bauch zu kraulen.

Mit meiner Stubenreinheit dauerte es ein
bisschen länger als erwartet, denn Du warst
furchtbar beschäftigt, aber zusammen
bekamen wir das in den Griff. Ich erinnere
mich an jene nächte, in denen ich mich im
Bett an Dich kuschelte und Du mir Deine
Geheimnisse und Träume anvertrautest,
und ich glaubte, das Leben könnte nicht
schöner sein. Gemeinsam machten wir
lange Spaziergänge im Park, drehten
Runden mit dem Auto, holten uns Eis
(ich bekam immer nur die Waffel, denn
"Eiskrem ist schlecht für Hunde", sagtest
Du), und ich döste stundenlang in der
Sonne, während ich auf Deine abendliche
Rückkehr wartete.

Allmählich fingst Du an, mehr Zeit mit
Arbeit und Deiner Karriere zu verbringen -
und auch damit, Dir einen menschlichen
Gefährten zu suchen. Ich wartete geduldig
auf Dich, tröstete Dich über Liebeskummer
und Enttäuschungen hinweg, tadelte Dich
niemals wegen schlechter Entscheidungen
und überschlug mich vor Freude, wenn Du
heimkamst und als Du Dich verliebtest.

Sie, jetzt Deine Frau, ist kein
"Hundemensch" - trotzdem hieß ich sie in
unserem Heim willkommen, versuchte ihr
meine Zuneigung zu zeigen und gehorchte
ihr. Ich war glücklich, weil Du glücklich
warst. Dann kamen die Menschenbabies, und
ich teilte Deine Aufregung darüber. Ich
war fasziniert von ihrer rosa Haut und
ihrem Geruch und wollte sie genauso
bemuttern. Nur, dass Du und Deine Frau
Angst hattet, ich könnte ihnen wehtun, und
so verbrachte ich die meiste Zeit verbannt
in einem anderen Zimmer oder in meiner
Hütte. Oh, wie sehr wollte auch ich sie
lieben, aber ich wurde zu einem
"Gefangenen der Liebe".

Als sie aber grösser waren, wurde ich ihr
Freund. Sie krallten sich in meinem Fell
fest, zogen sich daran hoch auf wackligen
Beinchen, pieksten ihre Finger in meine
Augen, inspizierten meine Ohren und
gaben mir Küsse auf die Nase. Ich liebte
alles an ihnen und ihre Berührung - denn
Deine Berührung war jetzt so selten
geworden - und ich hätte sie mit meinem
Leben verteidigt, wenn es nötig gewesen wäre.

Ich kroch heimlich in ihre Betten, hörte
ihren Sorgen und Träumen zu, und
gemeinsam warteten wir auf das Geräusch
Deines Wagens in der Auffahrt. Es gab
einmal eine Zeit, da zogst Du auf die Frage,
ob Du einen Hund hättest, ein Foto von mir
aus der Brieftasche und erzähltest
Geschichten über mich. In den letzten
Jahren hast Du nur noch mit "Ja"
geantwortet und das Thema gewechselt. Ich
hatte mich von "Deinem Hund" in "nur
einen Hund" verwandelt, und jede Ausgabe
für mich wurde Dir zum Dorn im Auge.

Jetzt hast Du eine neue Berufsmöglichkeit
in einer anderen Stadt, und Du und sie
werdet in eine Wohnung ziehen, in der
Haustiere nicht gestattet sind. Du hast die
richtige Wahl für "Deine" Familie
getroffen, aber es gab mal eine Zeit, da
war ich Deine einzigste Familie.

Ich freute mich über die Autofahrt, bis wir
am Tierheim ankamen. Es roch nach
Hunden und Katzen, nach Angst, nach
Hoffnungslosigkeit. Du fülltest die
Formulare aus und sagtest "Ich weiss, Sie
werden ein gutes Zuhause für sie finden".
Mit einem Achselzucken warfen sie Dir
einen gequälten Blick zu. Sie wissen, was
einen Hund oder eine Katze in "mittleren"
Jahren erwartet - auch mit "Stammbaum".
Du musstest Deinem Sohn jeden Finger
einzeln vom Halsband lösen, als er schrie
"Nein, Papa, bitte! Sie dürfen mir meinen
Hund nicht wegnehmen!" Und ich machte
mir Sorgen um ihn und um die Lektionen,
die Du ihm gerade beigebracht hattest:
Über Freundschaft und Loyalität, über
Liebe und Verantwortung, und über
Respekt vor allem Leben. Zum Abschied
hast Du mir den Kopf getätschelt, meine
Augen vermieden und höflich auf das
Halsband und die Leine verzichtet. Du
hattest einen Termin einzuhalten, und nun
habe ich auch einen.

Nachdem Du fort warst, sagten die beiden
netten Damen, Du hättest wahrscheinlich
schon seit Monaten von dem
bevorstehenden Umzug gewusst und nichts
unternommen, um ein gutes Zuhause für
mich zu finden. Sie schüttelten den Kopf
und fragten "Wie konntest Du nur?".

Sie kümmerten sich um uns hier im Tierheim
so gut es eben geht. Natürlich werden wir
gefüttert, aber ich habe meinen Appetit
schon vor Tagen verloren. Anfangs rannte
ich immer vor ans Gitter, sobald jemand an
meinen Käfig kam, in der Hoffnung, das
seiest Du - dass Du Deine Meinung geändert
hättest - dass all dies nur ein schlimmer
Traum gewesen sei ... oder ich hoffte, dass es
zumindest jemand wäre, der Interesse an
mir hätte und mich retten könnte. Als ich
einsah, dass ich nichts aufzubieten hatte
gegen das vergnügte
um-Aufmerksamkeit-Heischen
unbeschwerter Welpen,
ahnungslos gegenüber ihrem eigenen
Schicksal, zog ich mich fern in eine Ecke
zurück und wartete.

Ich hörte ihre Schritte, als sie am Ende des
Tages kam, um mich zu holen, und trottete
hinter ihr her den Gang entlang zu einem
abgelegenen Raum. Ein angenehm ruhiger
Raum. Sie hob mich auf den Tisch und
kraulte meine Ohren und sagte mir, es sei
alles in Ordnung. Mein Herz pochte vor
Aufregung, was jetzt wohl geschehen
würde, aber da war auch ein Gefühl der
Erleichterung. Für den Gefangenen der
Liebe war die Zeit abgelaufen. Meiner
Natur gemäss war ich aber eher um sie
besorgt. Ihre Aufgabe lastete schwer auf ihr,
und das fühlte ich, genauso wie ich jede
Deiner Stimmungen erfühlen konnte.

Behutsam legte sie den Stauschlauch an
meiner Vorderpfote an, während eine
Träne über ihre Wange floss. Ich leckte
ihre Hand, um sie zu trösten, genauso, wie
ich Dich vor vielen Jahren getröstet hatte.
Mit geübtem Griff führte sie die Nadel in
meine Vene ein. Als ich den Einstich fühlte
und spürte, wie die kühle Flüssigkeit durch
meinen Körper lief, wurde ich schläfrig und
legte mich hin, blickte in ihre gütigen
Augen und flüsterte
"Wie konntest Du nur?"

Vielleicht verstand sie die Hundesprache
und sagte deshalb "Es tut mir ja so leid."
Sie umarmte mich und beeilte sich, mir zu
erklären, es sei ihre Aufgabe, dafür zu
sorgen, dass ich bald an einem besseren Ort
wäre, wo ich weder ignoriert, noch
missbraucht, noch ausgesetzt werden könnte
oder auf mich alleine gestellt wäre - einem
Ort der Liebe und des Lichts, vollkommen
anders als dieser irdische Ort. Und mit
meiner letzten Kraft versuchte ich, ihr mit
einem Klopfen meines Schwanzes zu
verstehen zu geben, dass mein
"Wie konntest Du nur?"
nicht ihr galt. Du warst
es, mein geliebtes Herrchen, an den ich
dachte. Ich werde für immer an Dich
denken und auf Dich warten.

Möge Dir ein jeder in Deinem Leben so viel
Loyalität zeigen.

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