Du kannst es nicht allen recht machen

Von der Last im Umgang mit Eseln


Weit weg von den Menschen lebten zurückgezogen ein Vater mit seinem Sohn. Sie verstanden sich gut. Als der Sohn größer wurde, hatte er einen Wunsch. „Ich möchte mich einmal in der Welt umsehen und hören, was andere Menschen so meinen“, sprach er zu seinem Vater. Dieser runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Dann antwortete er:; „Wünsch Dir das nicht, mein Sohn. Weißt Du, jeder sagt nämlich etwas anderes. Was Du auch tust, nie kannst Du es allen recht machen.“ „Das glaube ich nicht“, trotzte der Bube und gab nicht eher Ruhe, bis sich der Vater mit ihm und dem Esel aufmachte.

So zogen sie in die Welt hinaus. Der Vater schritt voran, sein Sohn ging neben ihm, und am Schluß trabte an einem Halfter der Esel.

Nach einiger Zeit begegnete ihnen ein Bauer. Sie unterhielten sich mit ihm. Am Schluß des Gesprächs meinte der Landmann: “Warum laßt Ihr den Esel müßig gehen? Er kann doch einen von Euch tragen.“ Als der Bauer gegangen war, rief der Sohn: „Der Mann hat recht! Vater, Steig auf!“ Gesagt, getan.

Der Vater setzte sich auf den Esel, und der Sohn lief nebenher, bis sie auf zwei Wanderer trafen, mit denen beide erneut ins Gespräch kamen. Einer der Wanderburschen stieß seinen Kumpel in die Rippen und schmunzelte: „Es ist eine Unverschämtheit, daß der Vater reitet und den Jungen zu Fuß gehen läßt.“ Beide schüttelten den Kopf und zogen ihres Weges. Vater und Sohn schauten sich an und tauschten die Rollen. Nun ritt der Sohn auf dem Esel voraus, und der alte Mann lief zu Fuß hinterher.

Bald trafen sie eine kränkelnde Frau, die im Wald Holz gesammelt hatte. Diese jammerte über die schlechten Zeiten und klagte über Ihren krummen Rücken. Dann schimpfte sie: „Es ist eine Schande, daß der Vater zu Fuß geht, während das feine Söhnchen reitet.“ Kopfschüttelnd zog sie weiter. Der Sohn schämte sich und meinte zu seinem Vater: „Die Frau hat recht. Setz Dich zu mir auf den Esel, Vater.“

Gemeinsam ritten sie weiter, bis ihnen die Kutsche eines feinen Herrn entgegenkam. Sie plauderten über Handel und Wandel miteinander. Beim Abschied sprach der vornehme Herr: „Der treue Esel wird bald eingehen, wenn er die schwere Last von zwei Personen weiterhin schleppen muß.“ Daraufhin besannen sich die beiden und beschlossen, das Tier gemeinsam zu tragen. Sie banden ihm die Vorderbeine und die Hinterfüße zusammen, steckten eine Stange hindurch und hoben sich jeder ein Ende davon auf die Schulter.

Nachdem sie den Esel ein paar Stunden lang geschleppt hatten, kamen sie an einem Wirtshaus vorbei. Davor saßen fröhlich gestimmte Leute. Einer davon schrie: “Seht die Dummköpfe dort! Die tragen ihren Esel, anstatt auf ihm zu reiten!“ Alle lachten und johlten. Ein Angetrunkener krakeelte: „Wenn die beiden schon nicht reiten wollen, warum führen sie den Esel dann nicht am Halfter hinter sich her?“ „Warum tun wir nicht, was die Leute sagen?“ fragte der Sohn. „Weil wir so von zu Hause losgezogen sind“ , antwortete der Vater verärgert.

„Um es allen recht zu machen, bin ich geritten, bist Du und sind wir beide geritten. Wir haben den Esel sogar getragen.“ „Kann man es denn keinem Menschen recht machen?“ fragte der Junge verbittert. „Nein, das kann man nicht, mein Sohn, wie Du ja selbst gesehen hast“ ; sprach der weise Vater. Beide waren froh und glücklich, als sie abends, weit entfernt von den Menschen, wieder in ihrer Hütte saßen. Davor graste der Esel.

Solange Du an diesem Spiel, das „Leben“ heißt, teilnimmst, muß es Dir egal sein, welche Meinung andere von Dir haben. Du kannst es nicht beeinflussen.

Verfasser unbekannt